Brief von Tobias vom 17.10.2011

JVA Moabit BerlinSeit dem 24. September sitzt unser Freund und Genosse Tobias hinter den grauen Mauern des Knastes in Berlin-Moabit. Auf der Webseite des Solizusammenhangs wurde jetzt ein Brief vom ihm veröffentlicht, den wir hier übernehmen.

Heute bin ich mitten in der Nacht aufgewacht und brauchte kurze Zeit um mich zu orientieren. Da ich keine Brille auf hatte, schätzte ich, ob es schon kurz vor der „Lebendkontrolle“ war. Nichts, alles Still. Nun gut. Es nützt ja nichts, ich brauch doch die Brille und muss N24 anschalten um zu schauen wie spät es ist. Das deutsche Heer überfällt gerade Polen und ein Zeitzeuge, irgend eine Landser erzählt in Guido Knopp-Manier seine Eindrücke vom Hochstemmen des Schlagbaumes. Ich frag mich wieder, wo diese Leute immer aufgetrieben werden, gibt es da eine Art Meldestelle?

Und wo muss ich mich melden um meinen Anspruch auf Interviewzeit zu reservieren für die Jahrzehnte 1995 – 2050. Es ist 4:35 Uhr, zu früh zum Aufstehen, aber genau die Zeit um im Tiefschlaf zu sein, wenn die Zelle aufgeht und die erste Amtshandlung eines deutschen* Häftlings darin besteht, erstens gefälligst zu leben und dann den Müll in einen Rollwagen zu entleeren. Wahlweise wenn der Mensch Bedürfnisse hat, kann er einen sogenannten Vormelder mit dem Wunsch oder einer Bitte dem Schlüsselmeister geben. Das alles setzt voraus, dass du lebst und wach bist. Ersteres wird vorausgesetzt, sonst hättest du das am Vortag auf einen Vormelder vermerken müssen. Zweiteres setzt eben voraus, dass die innere Uhr funktioniert. Den beim Verschlafen verlierst du bürokratisch gesehen einen kompletten Werktag. Na was solls, denke ich mir, es ist Montag und ich bleibe wach. Da ich den Überfall auf Polen schon kenne, entscheide ich, mich auf DMAX zu informieren wie New Yorker Yuppie Rocker Maschinen pimpen und sich dabei anbrüllen. Und schon schlafe ich wieder ein.

Ich bekomm gerade noch meine Hose an, als ich höre, wie der Schlüssel in mein Zellenschloss rammt, für Socken und Schuhe keine Zeit. Ich spring auf, schnappe mir den Mülleimer und renn auf den Gang, kipp den Müll bestehend aus Saftpackungen, alten Zeitungen und der Wurstpelle von gestern Abend in den Rollwagen. Geschoben wird dieser von jemand, der dieses Amt in der Hierarchie der JVA inne hat und zusammen mit der Pelle auf das Niveau vom Wärter kommt. Deshalb erstaunt es mich auch nicht als er mich kommentiert mit: „Nicht ohne Schuhe die Zelle verlassen“. Durch diese Impfung der Hausregeln, kann sich der Schließer ganz auf Schlüssel und das Entgegennehmen meiner Post und Vormelder konzentrieren. Schnell noch die Bücher auf den Gang legen und die Tür ist wieder zu. Die folgenden 20 Minuten bis zum Frühstück beschäftige ich mich mit Waschen und dem Schauen der Frühstücksnachrichten.

Die weltpolitische Lage reißt mich heute nicht aus dem Stuhl, als ich die vier Weißbrotscheiben zubereite, die mir der Staat Abends in die Zelle reichte. Dann schon eher die tägliche Sauerei beim Umfüllen der Schüssel Kräutertee in die Kanne, wieso der Tee nicht direkt in die Kanne gefüllt wird – traut sich hier niemand zu fragen.

Revolutionäres Umdenken der Abläufe könnte schnell als ketzerisches Freidenken in der psychologischen Akte landen. So wische ich wie immer das Waschbecken bevor ich mein Brot esse. Cherno Jobatai vom Frühstücksfernsehen ist heute eine Frohnatur, denn er unterbricht den Wettermann in dem er einen Zettel mit der Aufschrift „Du bist Doof, wie auch das Wetter“ unbemerkt auf die Wetterkarte pint. Ich bin hellwach und beschließe irgendwas Produktives zu machen und beginn meinen Schreibtisch aufzuräumen. Ich sortiere in Stapeln Vormelder, Briefpapier, Umschläge, Marken und Papiere. Briefe und Karten, die ich schon beantwortet habe, wandern in den Schrank. Wo ich dabei bin schreibe ich in einem Anfall sechs Briefe bis mir die Hand weh tut und ich feststelle, dass es bereits 10 Uhr ist. Die Tür öffnet sich und es wäre Zeit für Hofgang. Wie immer in der letzten Zeit verneine ich und mittlerweile weiß ich sogar eine Antwort darauf. Es gibt in Gefängnissen die Angewohnheit der Gruppenbildung. Das passiert von ganz alleine. In die erste wirst du eingeteilt ohne dein Zutun. Das fängt an bei deiner Muttersprache an. Ich wurde erstmal in die Schublade Deutscher gesteckt. Da ich weder Mörder noch Kinderschänder zu sein schien, entschloss Mensch sich an mich ranzutasten und Belangloses zu palavern. Offensichtlich war ich aber auch kein Dieb, denn ich hatte den Anzug vom LKA in Einheitsgrün an, als ich hier ankam und so kam die Standard-Knasti-Frage: „Warum bistn hier?“ und schon war ich in der nächsten Schublade drin.

Offensichtlich war ich also von den Antifas. Was scheiß egal ist, denn damit bist du in der Hackordnung in der Sparte „Hat Leute draußen und vielleicht drinnen“. Und schon bist du in der nächsten drin: „Hat bestimmt was zum rauchen, spricht nicht über seinen Vorwurf, scheint gar nicht so scheiße zu sein“.

Nach fast einem Monat nervt mich dieser ganze Scheiß schon gehörig. Beim Umschluss auf dem Gang und den Zellen ist das alles für jemanden wie mich, der auch auf andere zugeht, kein Problem. Auf dem Hof kommt dann aber noch ne riesige Portion Show und Hahnenkampf dazu. Ich fahr bis jetzt gut mit dem wie es ist und warum mir künstlich das Leben schwer machen?

Wieder geht die Tür auf und zwei kräftige Hyänen betreten den Raum, in den Händen meinen Einkauf. „Ey Alter mach mal das Fenster auf“. Es gibt nur zwei Zustände in meinen vier Wänden: Kalt und Luft oder Heiß wie im Heizraum. Ich bekomm von der Hitze Kopfschmerzen, aber das Einschlafen bei offenem Fenster bringt sofort zwei Tage Erkältung mit sich. Wie Mensch es dreht und wendet, eine Höhle lässt sich beschissen bewohnen, denn über die Tür habe ich keine Gewalt. Die dritte Person ist der Schliesser im Raum und zu viert bekommst du unweigerlich den Drang einem von den Dreien zu schubsen oder unvermittelt aufs Maul zu hauen. Routiniert verlesen Sie die Liste und vergleichen Sie mit dem mitgebrachten. Nach einer Unterschrift bin ich allein mit dem Einkauf auf dem Bett und verstaue Ihn unsichtbar im Schrank. Auf Storys „Wenn du duschst, durchsuchen wir mal deine Zelle“ habe ich keinen Bock. Wie in der übrigen Gesellschaft entsteht hier noch verstärkter Neid. Wovon ich aber eigentlich ausgenommen bin, da es bei mir oft Tabak gibt für ne Kippe und ich nicht in die „Arschloch-Fraktion“ gehöre. Siehe Kapitel Hackordnung. Es gibt sie aber. Nur in einen Spießrutenlauf misch ich mich nicht ein, auch wenn es extrem Scheiße ist, sowas live zu sehen. Das Mittag besteht aus Nudelsuppe, sie ist identisch mit dem Hühnernudeleintopf aus der Dose, beim Fleisch kann ich die Tierart vom Geschmack und der Konsistenz nicht bestimmen, aber Mittag ist extrem wichtig, ist es doch die warme Mahlzeit am Tag. Der Speiseplan wechselt wöchentlich, zwei Konstanten konnte ich bereits ausmachen. Mittwoch Fisch, Samstag Suppe. Insofern muss heute etwas nicht stimmen, denn der Plan sagt Nudeln mit Soße, nichts von Suppe. Ich bin im übrigen laut meiner Tür „Weißbrot“. An jeder Zelle gibt es Schildchen: Moslem, Weißbrot, Doppelt, Kein Fleisch. Außerdem Hausarbeiter und das Schild „1 Mann“. Für Belustigung sorgt auf dem Gang auch ein Schild mit „Toilette Frauen – nur für Gefangene“. Ich denke es stammt noch aus der Zeit als es hier noch einen Frauenblock gab.

Nach dem Mittag bekam ich Post und erfuhr, dass ich die Woche wohl noch Besuch bekomme. Was meine Wochenplanung schon mal erweitert. Das ist wichtig, denn ich bin dazu übergegangen mich nur bei Besuch und Anwalt zu rasieren. Ein Bart wird trotzdem nicht mein Ding, auch wenn ich mit Vollbart beim Prozess für Verwirrung sorgen könnte. Seit heute bekomm ich auch die TAZ und mir fällt sofort auf, dass im Vergleich zu Tagesspiegel und Morgenpost gleich mehr Hintergrund in den Tag dringt. Ich habe also die nächsten Stunden damit verbracht den Inhalt der Zeitung aufzusaugen. Gerade beim Lesen gabs unerwartet Besuch vom Anwalt. Also Akte geschnappt und rein ins Anwaltszimmer. Komischerweise ist mir aufgefallen, dass ich zur Begrüßung immer frage „Wie gehts dir?“ und somit der Frage immer zuvorkomme. Es ist natürlich ein Riesen Unterschied jemand aus dem Umfeld zu sehen und irgendwie sind die Besuche wie eine Schleuse in die Außenwelt, als treffe man sich auf diplomatisch neutralem Boden zwischen zwei Welten. Die nachfolgende Stunde las ich in meiner Akte und musste aufgrund der Bürokratie ab und zu schmunzeln, sogenannter Galgenhumor bleibt nicht aus.

Umschluss ist, wer es nicht kennt, wieder eine eigene Welt. Die Käfige gehen auf und ein paar Minuten passiert gar nix. Dann kommen langsam aber sicher die Leute raus. Ein Teil rennt sofort in die Dusche, ein Teil ins Büro, der Rest sucht seine Gruppe zusammen, geht in eine Zelle oder wandert hin und her, auf und ab. Mein kleines Grüppchen besteht aus Menschen, die Lust haben sich einmal am Tag halbwegs anspruchsvoll zu unterhalten. Wir kommentieren die Tagespolitik, das Verhalten der Schließer und was uns noch so einfällt. Irgendwie werden meine Partner oft abgeschoben. Einer ist wieder frei und der andere hat bald Prozess. Es gibt eine unausgesprochene feste Regel bei allem: Die Inhalte bleiben in den Mauern der JVA. Trotzdem stimmt das mit der Schule. Wir sind ein Zwangskollektiv auf Bildungsreise. Nichtsdestotrotz geht der Großteil aber eher auf Hamstertour und vermeidet das tiefere Gespräch. Ich habe trotzdem den Eindruck, dass die Lebensläufe hier alle extrem spannend sind, ganze Büchereien füllen könnten. In gewisser Weise tun Sie das auch, nur unzugänglich bei der Berliner Staatsanwaltschaft.

Den Rest des Tages verbringe ich mit Fernsehen und Lesen. Bis mir der Einfall kam, euch mal einen Tag aufzuschreiben. Wenn Ihr Lust habt, gibt es mehr davon, nur muss ich erst wieder manche Vorgänge hier genau unter die Lupe nehmen. Ich hoffe Ihr schmeißt meine Briefe nicht weg, denn was auch auffällt ist, dass kaum jemand hier den Alltag notiert. Vielleicht fass ich den ganzen Müll mal zusammen und stell Ihn in einen Ordner im Infoladen und Jahre später lacht der ein oder andere nochmal drüber. Hoffentlich verpenn ich morgen nicht, aber der Ablauf ist der gleiche.

Aus dem Gymnasium für angewandte Kriminalität

Poge.

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