Flugblatt in Solidarität mit Sonja und Christian zum Anti-Atom-Widerstand

gefunden auf www.verdammtlangquer.org, ein Flugblatt mit diesem Text wurde zum Castor-2011-Transport verteilt.

Die lange Tradition des Anti-AKW-Widerstands

Ausgeliefert werden heißt nicht ausgeliefert sein! Solidarität mit Sonja und Christian!

Am 14. September wurden Sonja Suder (78) und Christian Gauger (70) nach 33 Jahren im Exil von Frankreich an Deutschland ausgeliefert und in Frankfurt-Preungesheim und im Knastkrankenhaus Kassel inhaftiert. Christian kam in Untersuchungshaft, obwohl er nach einem Herzstillstand im Oktober 1997 gesundheitlich extrem angeschlagen ist. Erst am 20. Oktober entkam er nach mehreren Interventionen seiner Anwälte dieser für ihn lebensgefährlichen Situation. Gegen Auflagen wurde er von der Haft verschont. Sonja sitzt weiter in Untersuchungshaft.

Um was geht es?
Als Geburtsstunde der Widerstandsbewegung gegen das Atomprogramm der BRD gilt die Auseinandersetzung  um das geplante AKW in Wyhl. Massenproteste konnten 1974/75 den Bau verhindern. Als Teil der Bewegung setzten sich auch Revolutionäre Zellen (RZ) mit der Perspektive der Anti-AKW-Arbeit auseinander und suchten neue Formen und militante Praxen für den Widerstand. RZ griffen z. B. im Mai 1978 den Wach- und Kon­trolldienst Nord und Niedersachsen an, der an den Atom-Standorten Gorleben, Brokdorf und Grohnde „aufgefallen war“. Im November 1982 verübten sie einen Anschlag gegen die Gesellschaft für Reaktorsicherheit in Köln und fällten einen Strommast in Kalkar, dessen Trasse direkt zum geplanten Schnellen Brüter führte.

Sonja und Christian werden konkret zwei Anti-Atom-Anschläge der RZ vorgeworfen: Der vom 22. August 1977 richtete sich gegen MAN wegen des Beitrags dieser Firma zur Herstellung südafrikanischer Atombomben. Schon damals kamen durch den Druck der Anti-AKW-Bewegung Atomgeschäfte in Deutschland nicht mehr so richtig voran und Firmen suchten sich deshalb neue Absatzmärkte. MAN exportierte Verdichter für eine Urananreicherungsanlage an das rassistische Apartheidregime. MAN ist bis heute im Rüstungsgeschäft aktiv. Der zweite Anschlag richtete sich gegen die Firma KSB. RZ schrieben dazu im August 1977: „Nach unserer Aktion gegen den international geachteten Konzern MAN möchten wir mit der Aktion bei KSB in Frankenthal einen Kandidaten vorstellen, der ganz im Stillen, aber dort im großen Rahmen wirkt.“ Die KSB AG war der weltweit größte Pumpenhersteller und wichtig für den Bau von Kernkraftwerken in aller Welt. Heute schreibt das Unternehmen: „40 Jahre Erfahrung in der Entwicklung von Pumpen und Armaturen für Kernkraftwerke haben KSB zu einem der Weltmarktführer gemacht.“

Des Weiteren sollen Sonja und Christian wegen dieser Aktion nach dem Willen der Frankfurter Staatsanwaltschaft der Prozess gemacht werden: Am 18. Mai 1978 wurde auf das Heidelberger Schloss ein Brandanschlag verübt. In einem angeblichen Schreiben des Oberbürgermeisters Zundel (!) unter dem Briefkopf der Stadt Heidelberg hieß es: „Als Oberbürgermeister der Stadt Heidelberg erkläre ich, dass irgendwelche Behauptungen, ich hätte gestern Nacht im Königssaal des Heidelberger Schlosses Feuer gelegt, jeglicher Grundlage entbehren. Richtig ist vielmehr: Ich zerstörte und zerstöre Gebäude, die mir bei der Sanierung Heidelbergs im Wege stehen.“ Diese Aktion soll tatsächlich von einer RZ gemacht worden sein. Heute ist Gentrifizierung erneut und immer noch Anlass für Protest und Widerstand.  Bei allen drei Vorwürfen stützt sich die Anklage auf angebliche Aussagen von Hermann F. Angeblich, weil sie unter folterähnlichen Bedingungen fabriziert wurden: In Hermanns Schoß explodiert im Sommer 1978 ein Sprengsatz – angeblich für eine RZ-Aktion gegen das Konsulat der damals in Argentinien herrschenden Folterdiktatur bestimmt. Hermann überlebt, verliert aber beide Augen und seine Beine werden amputiert. Er bekommt ständig starke Schmerz- und Beruhigungsmittel. Seine einzigen „Bezugspersonen“ im Krankenhaus und einer Polizeikaserne sind LKA’ler, Staatsanwälte und Richter – Hermann bleibt viereinhalb Monate in dieser Lage absoluter Hilflosigkeit, der Schmerzen und eingeschränkter Wahrnehmungsfähigkeit. Kontakte zu FreundInnen und einem Anwalt seiner Wahl werden verhindert.

Im August 1978, also kurz nach dem „Deutschen Herbst“ und inmitten der staatlichen Jagd auf Linksradikale, bemerken Sonja und Christian, dass sie observiert werden, und verreisen erst einmal mit unbekanntem Ziel. Erst später erfahren sie von den Tatvorwürfen gegen sie.

22 Jahre nach ihrem Verschwinden, im Jahr 2000, werden Sonja und Christian in Paris festgenommen. Inzwischen ist eine weitere Beschuldigung hinzugekommen: Sonja wird nach fast 25 Jahren auf einmal von einem ehemaligen Mitglied der Carlos-Gruppe, dem Kronzeugen Hans Joachim Klein, beschuldigt, 1975 Waffen für die Aktion gegen die Opec-Konferenz nach Wien gebracht zu haben. Sogar das Landgericht Frankfurt hat diese Beschuldigung in einem anderen Verfahren als unglaubwürdig abgewiesen, aber im Haftbefehl gegen Sonja wurde und wird sie nach wie vor aufgeführt. Dennoch lehnt ein französisches Gericht im Jahr 2000 den deutschen Auslieferungsantrag ab und entscheidet, dass die beiden gegen eine Kaution von 300 (!) Euro in Frankreich bleiben können. 2007 beantragt  die deutsche Justiz allerdings einen formal neuen, „europäischen“, Haftbefehl. Nun stimmt die französische Justiz zu, obwohl der Haftbefehl inhaltlich überhaupt nichts Neues enthält.

Während der deutsche Staat Atomgeschäfte bis heute durch Hermesbürgschaften absichert wie im Fall des brasilianischen Atomkraftwerks „Angra 3“ und Konzerne weiter Atomtechnologie exportieren und nie ein Konzern für die Unterstützung der Apartheid in Südafrika zur Verantwortung gezogen wurde, soll Sonja und Christian auf Grundlage von skandalösen, erfolterten „Aussagen“ und Kronzeugenangaben nach drei Jahrzehnten der Prozess gemacht werden. Die Anklageschrift kam Anfang November, weshalb für Februar oder März 2012 mit Prozessbeginn gerechnet werden muss.
Beide haben sich geweigert, einen Deal mit der Staatsanwaltschaft zu machen, beide wollen jede Aussage verweigern. Mit dieser Haltung sollten sie beim kommenden Prozess internationale Unterstützung erfahren – sorgen wir dafür, dass sie sich nicht ausgeliefert fühlen!

Kein Prozess gegen Sonja und Christian! Sonja muss sofort raus!

Weitere und aktualisierte Infos: www.verdammtlangquer.org

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