Thomas Meyer-Falk: Mannheimer Gefängnisskandal vor 35 Jahren

faust-durchs-gitterPfingsten 1974. Drews und Goike (Gefängniswärter) betreten die Zelle von Hans G. und verprügeln ihn. Sie gehen anschließend in eine weitere Zelle. Dort zerrt Drews den nackt im oberen Bett des Doppelstock liegenden W. an den Haaren aus dem Bett, so dass dieser auf dem Boden aufschlägt. Dem ebenfalls in der Zelle anwesenden Gefangenen H. drückt Drews eine Zigarette im Gesicht aus.

Nach Aussagen von Gefangenen misshandelten in jener Pfingstnacht Rollkommandos rund 100 Gefangene in der Justizvollzugsanstalt Mannheim.
Konkreter Anlass für die Übergriffe in dieser Nacht waren lautstarke Proteste der Insassen, nachdem eine Stunde früher als üblich das Licht gelöscht wurde und plötzlich 800 Gefangene im Dunkeln saßen (damals war es üblich, das Licht zentral geregelt auszuschalten; in Bruchsal beispielsweise wurde diese Unsitte erst 1999 abgeschafft). Sie taten ihren Protest kund und schlugen mit Stühlen und Essgeschirr gegen die Fenstergitter und Zellentüren.
In den Folgewochen griffen die Zeitungen die Misshandlungen auf, eine Sonderkommission wurde gebildet, um die Vorfälle aufzuklären.

Seinerzeit gab es einen überwiegend aus ehemaligen Gefangenen gebildeten Gefangenenrat in Frankfurt/Main, auch dieser beschäftigte sich intensiv mit den Übergriffen zu Pfingsten. Und in diesem Zusammenhang wurde dann der mysteriöse Tod eines Untersuchungshäftlings im Dezember 1973 wieder aufgerollt.

Der 25-jährige Hans-Peter Vast, am 16.12.1973 betrunken am Steuer eines gestohlenen Autos von der Polizei verhaftet, wurde am 28.12.1973 tot in seiner Mannheimer Knastzelle entdeckt. Seinen Angehörigen teilte man mit, er sei nachts in der Zelle umgefallen und dabei versehentlich mit dem Kopf aufs Bett gefallen, so dass er daran verstarb. Erst im Zuge der durch den Gefangenenrat mit initiierten neuen Untersuchungen kam heraus, dass in der Nacht vom 27.12. auf den 28.12. die Gefängniswärter Meisch, Deis und Otto in die Zelle von Hans-Peter Vast eindrangen, ihn mit Schlagstock, Stuhlbein und Schlüsselbund (der Schlüsselbund der Wärter ist als Waffe geeignet, da er aus großen massiven Schlüsseln besteht) bewußtlos prügelten und dann unter sein Bett schoben, wo er später erstickte, da er sich in seiner Bewusstlosigkeit erbrach.
Ende 1974 erhängte sich Meisch im Gefängnis. Seine Wärterkollegen Deis & Otto wurden am 12. Mai 1975 vom Landgericht Mannheim wegen gemeinschaftlich begangenen Mordes zu je 15 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt.

An den Tod von Hans-Peter Vast und den Pfingstaufstand vor 35 Jahren sollte wieder erinnert werden, denn auch wenn heute physische Übergriffe auf Gefangene – zumindest in Deutschland – nicht mehr so oft vorkommen wie damals, so sind doch die Forderungen, die seinerzeit der Gefangenenrat, Gefangene der JVA Mannheim und anderer Anstalten aufstellten, heute noch aktuell!
-Abschaffung der Isolation
-Abschaffung von Zwangsarbeit
-freie Arztwahl
-Abschaffung der Repressionen, die gegen Inhaftierte ergriffen werden, die ihre Rechte wahrnehmen
-generelle Urlaubsregelung für alle Gefangenen

Sinnigerweise forderte man auch 1973 eine „sofortige Ablösung des Kaufmanns und Einkaufsmöglichkeiten zu gerechten Preisen“; eine Klage über zu hohe Preise, die heute noch erhoben wird (z.B. „Knastshop Massak – ein Erlebnis!“ http://www.de.indymedia.org/2009/01/239491.shtml).

Übergriffe auf Gefangene speziell in der JVA Mannheim werden immer wieder mal berichtet, jedoch nicht mehr in der Intensität und Brutalität wie in 60ern und 70ern, bzw. in jener Häufigkeit.

In diesem Jahr will die Anstaltsleitung der JVA Mannheim groß das „100-jährige Jubiläum“ des Knastes feiern, inklusive Empfang für lokale Politprominenz und „Tag der offenen Türe“ für BesucherInnen. Selbst den Insassen wird ein Brotkrumen „gegönnt“: Der Auftritt einer HipHop-Band im Sommer oder Herbst 2009. Ob die Anstaltsverantwortlichen wohl Hans-Peter Vast gedenken werden, oder all den anderen Gefangenen, die dort starben?

Wer sich über die damaligen Zustände informieren möchte, dem lege ich das (nur noch antiquarisch erhältliche, z.B. www.booklooker.de) Buch „Knastalltag am Beispiel Mannheim – eine Dokumentation“ ans Herz. Herausgeber: Sozialistisches Büro Offenbach. Erschienen Mai 1975.

Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal

www.freedom-for-thomas.de
www.freedomforthomas.wordpress.com

You may also like...