Thomas Meyer-Falk: Tote sind immer im Recht – eine Rezension

faust-durchs-gitter Am 27. Dezember 2008, zwischen 11 Uhr und 11.40 Uhr starb im Justizvollzugskrankenhaus Heinrich Pommerenke nach fast 50 Jahren Gefängnis. Kein Gefangener saß bislang derart lange ununterbrochen in Haft (auch wenn es aktuell mehrere Inhaftierte gibt, die 40, 45 und mehr Jahre, wie man im Gefängnisjargon sagt, „auf dem Buckel haben“).

Was machte ihn so gefährlich in den Augen der Justiz? Er wurde am 22. Oktober 1960 in Freiburg wegen vierfachen Mordes, siebenfachen Mordversuchs, 25-facher versuchter und zweifach vollendeter Vergewaltigung und anderer Delikte mehr zu sechs Mal lebenslang plus 15 Jahren verurteilt. In den Jahren nach seiner Verhaftung und Verurteilung gaben Eltern ihren Kindern die Drohung auf den Weg, sie mögen pünktlich nach Hause kommen, „sonst holt Dich der Pommerenke“. Das personifizierte Grauen, ein Monster, der Teufel in Menschengestalt; das wurde er geheißen und noch mehr.

Seit Mitte August 2010 liegt eine Art Kriminalbiografie über Heinrich Pommerenke vor. Geschrieben von dem 1971 in Karlsruhe geborenen Thomas Alexander Staisch – damals saß Pommerenke schon 12 Jahre im Gefängnis.
Auf 342 Seiten breitet Staisch ein Sittengemälde der späten fünfziger Jahre aus, in dessen Klima Heinrich P. seine Morde, Vergewaltigungen und Überfälle beging. Den Tötungsdelikten räumt der Autor breiten Raum ein, verharmlost, bagatellisiert nichts. Aber auch wenn er Pommerenke immer und immer wieder Monster, den Teufel in Menschengestalt und anderes mehr nennt, so wird deutlich spürbar, dass er hier das Stilmittel der Übertreibung einsetzt, um gerade den menschlichen Kern Pommerenkes und auch die ihm widerfahrene Verletzung seiner Würde, seines Menschseins heraus zu arbeiten.

In einer literarisch anmutenden Weise schreibt Thomas A. Staisch über das Leben Pommerenkes vor und in der Haft, zitiert viele Quellen: Ob Akten aus dem Staatsarchiv, Anstaltsbeamte, Freunde (ja, auch die hatte Heinrich P. bis zu seinem Tod) und insbesondere den ehemaligen Gefängnispfarrer vom Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg.

Wer etwas über die Perfidie erfahren möchte, mit der im Gefängnis mit Inhaftierten umgegangen wird, der kann exemplarisch an Pommerenkes 50 Gefängnisjahren alle Spielarten erleben: Körperliche, wie seelische Misshandlung, heimliches Beibringen von Psychopharmaka und den Versuch der Vernichtung durch Haft; selbst ein ehemaliger Gefängnisdirektor, der Pommerenke und dessen Fall kennt, wird zitiert mit der Analyse: Hier wird ein Exempel statuiert, ein „Vernichten“, eine Todesstrafe ohne Fallbeil (a.a.O., S. 32).

So kann man das Buch durchaus auch als Streitschrift für eine Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe lesen und sie gewinnt seine Bedeutung gerade dadurch, dass nichts ungesagt bleibt, nichts verschwiegen wird von dem, was Heinrich Pommerenke vor über 50 Jahren getan hat.

In einer Zeit, in der hysterisch, aufgeregt und mit viel Gespür für den Volkszorn (bspw. FOCUS vom 16.08.2010, der Titel lautete: „Ist unser Staat zu feige? Der Skandal um die Freilassung von 100 Sex-Verbrechern“) über die Freilassung von – angeblich – „gefährlichen“ Menschen aus dem Gefängnis diskutiert wird, kann Staischs Buch einen wertvollen Beitrag leisten zu einem fundierten Einblick in den Alltag deutscher Strafvollzugswirklichkeit, ohne sich dabei dem Vorwurf von interessierter Seite aussetzen zu müssen, er sei allzu solidarisch mit dem/den Gefangenen.

Bibliografische Angaben:
Thomas Alexander STAISCH
„Heinrich Pommerenke, Frauenmörder – Ein verschüttetes Leben“
erschienen 2010 im Verlag Klöpfer & Meyer
ISBN 978-3-940086-88-4, 344 Seiten, Preis: 22,– Euro

Thomas Meyer-Falk
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D-76646 Bruchsal

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