Werner Braeuner: Intervention und Kommentar

zu den Gründen für die Tötung eines Arbeitsamtsdirektors im Februar 2001 sowie zu den Hintergründen seines Strafprozesses vor dem Landgericht Verden/Aller im August 2001.

»Was für ein Thier ich bin!« (Fr. Nietzsche)

Vorbemerkung

Werner Braeuner, in Haft wegen der Tötung eines Arbeitsamtsdirektors im Februar 2001Der Mensch – der Affe mit dem sehr großen Hirn. Jenes Hirn verunsichert den Affen. Der Affe wiederum verunsichert das Hirn. Solch zwiespältige Wesen dürfen ein wenig wahnsinnig sein. Ein wenig Wahnsinn ist lustig. Wird’s mehr, wird der Wahnsinn erst ärgerlich, dann böse und gefährlich. Gegen bösen und gefährlichen Wahnsinn regt sich Widerstand. »Eine völlig unsinnige Tat«, empörte sich der Staatsanwalt am Landgericht Verden/Aller. Eines Tages wurde dem Nichts langweilig und es beschloß, Etwas zu werden. So entstand die Welt. Alles. Alles ist unerklärliches Wunder, ist »völlig unsinnig!« Dies aber wird der Staatsanwalt nicht gemeint haben. Was dann?

Eine offen widerständige Tat

Wo immer Menschen in der langen Geschichte ihrer Gattung begonnen haben, in komplexeren Gemeinschaften auf koordinierte Weise zu leben, ergaben sich gewisse Anforderungen an die Verstandestätigkeit. Ein Zwiespalt wurde fühlbar, da Stimmungen, Launen und Antriebe des Körpers einer Lenkung der Lebensvollzüge durch den Verstand hinderlich sein können. So entdeckt der Affe mit dem sehr großen Hirn erstmals den Makel seiner inneren Natur. Erweist das Innen sich als nicht genügend kontrollierbar, soll das Außen es um so mehr sein. Geht der Blick auf das Außen, ist dort ebenfalls ein Makel zu entdecken, nämlich die Unhintergehbarkeit, Unerklärbarkeit, der ›Unsinn‹ der äußeren Welt. Welch glänzende Projektion, den inneren Makel auf jenen äußeren und so auch den Schmerz über den inneren Makel auf das Außen lenken und dort verorten zu können: Nun schmerzte den Menschen die Welt.
Wer sollte das heilen, wenn nicht einer, mit dem zugleich höhere Absichten und Zwecke erfunden wurden, um für Welt, Natur und Mensch Erklärung zu geben: Gott. Ärgerlich bloß, daß Gott seine Leistung zu dem überhöhten Honorar beglichen haben wollte, den unkontrollierbaren Leibesaffen fortan zu verachten – Gott war Hirn, Geist, reiner Geist, war gut! Wie Welt und Natur aber war der Menschenleib ›nur‹ Materie – schlecht! Schlechtes darf beliebig vernutzt und mißhandelt werden. Doch indem Gott Allem ›Sinn‹ schenkte, setzte er Schamgrenzen: Da Alles ihm gehörte, hatte es allein ihm zu dienen, ausschließlich ihm. Geringschätzung für den Leibesaffen half dem sehr großen Hirn nun tatsächlich zu mehr Tätigkeit. Verlangte das Christentum doch sogar Verachtung des Leibes, weswegen der ins Außen verlagerte Makel im Inneren umso mehr schmerzen mußte. War Gott ein Betrüger?
»Mehr von dem selben Gift!« befiehlt der Wahn dem am Gift Erkrankten. Der Mensch war verurteilt, immer mehr Kontrolle über das Außen der Welt gewinnen zu wollen und mußte dort schließlich einen weiteren Makel entdecken: Gottes Unerklärbarkeit. Die Logik des Wahns mußte Gott verabschieden; und was zunächst bloß ärgerlich gewesen war, wurde nun böse und gefährlich. Denn es wurden nun zugleich jene mit Gott aufgerichteten Schranken eingerissen, die der Vernutzung von Welt, Natur und Mensch gesetzt waren. Fortan war der ›Sinn‹ von etwas nur mehr dessen Nutzen, dessen Vernutzung. Dieser ›Nutzen‹ war mit der Erfindung Gottes als dessen höhere Absichten und Zwecke bereits definiert worden; Geist sollte über Materie herrschen, ja – Materie sollte Geist, Konkretes sollte Abstraktes werden. Dem Seienden war Essenz zu entziehen, also abstrakt Werthaltiges. Hier die Rede von den Transsubstantiationen von Mensch in ›Arbeitskraft‹, von Natur in ›Stoff‹,von Welt in ›Wissenschaft‹. Hier die Rede vom Zeitalter der Moderne, von der Gesellschaft der Gegenwart. In dieser hat ›Sinn‹ sich im Begriff des Nutzen verloren, sind Sinn und Nutzen identisch geworden. Aus dem Munde eines Parteigängers des herrschenden Wahns meint ›unsinnig‹ schlicht ›unnütz‹; da Gottes Autorität mit seinem Abgang auf den Nutzen übergegangen ist, meint ›unsinnig‹ mehr noch: gegen Gott, sündig, schlecht. Dem Nutzen nicht zu frommen, ist Sünde, Ketzerei, Widerstand!
Nun ist der empörte Ausruf des Staatsanwalts dechiffrierbar: »völlig unsinnig« meint offener Widerstand. Richtig – meine Tat war offener Widerstand gegen einen bösen und gefährlichen Wahnsinn, der Leben zu einem Horror macht.

(K)ein politisches Verfahren

Beschäftigte von Arbeitsämtern, Jobcentern und Argen sind – militärisch gesehen – weiche Ziele. Ein Angreifer benötigt minimale Bewaffnung, keine speziellen Kenntnisse oder Fertigkeiten und kann allein operieren. Das ist der Stoff, aus dem die Albträume der Herrschenden und ihrer Büttel in den Arbeits- und Sozialämtern sind.
Im Vergleich dazu und mit Blick auf ihre politische Wirkung waren die militärisch aufwendigen Angriffe der europäischen Stadtguerilla geradezu harmlos. Diese Einschätzung gewinnt, wer auf die Panik und Stümperei schaut, mit der die Herrschenden den politischen Schaden einzudämmen versuchten, der ihnen am 6.2.2001 in Verden a.d. Aller (50 km südöstlich von Bremen) entstanden ist. Der Tötung des Arbeitsamtsdirektors mußte um jeden Preis ein Etikett verliehen werden, das auch nur den Gedanken an einen Akt politischen Widerstands nicht aufkommen lassen durfte. Das Etikett bekam darum die Aufschrift: Sozial gescheiterter Arbeitsloser mit privaten Problemen beging in impulsivem Affekt eine Verzweiflungstat. Ich habe jenes Etikett unterschrieben, habe aktiv das Medienspektakel unterstützt, das es hübsch bunt aussehen lassen sollte, habe einen gerichtspsychiatrischen Gutachter an mich herangelassen und diesen weisungsgemäß getäuscht, habe das Gericht nach Vorgabe dumm belogen. Ich hatte keine Wahl. Heute, da sich der sozialhelferische Nebel verzogen hat, der die Brutalität der Arbeits- und Sozialbehörden vor 10 Jahren noch umwaberte, ist der Verdener Justizschwindel angreifbar geworden, und so erzähle ich heute erstmals seine Geschichte.

(K)eine Wahl

Um mir die Unterschrift unter diesen Schwindel abzupressen, wurde ich vor die Wahl gestellt. Würde ich meine Tat öffentlich vor dem Gericht als offenen politischen Widerstand bekennen, sei mit Psychiatrisierung gemäß § 63 StGB zu rechnen, was ein ›verstecktes Lebenslänglich‹ sei. Außerdem hieße das Zwangsmedikation sowie die Möglichkeit zu totaler Isolation durch Verbot von Besuchen, Post und Telefon. 10 Jahre Zwangsmedikation würden erfahrungsgemäß ausreichen, Menschen so zu zerstören, dass sie nicht mehr in die Freiheit zurückfinden könnten und in der Psychiatrie verbleiben müßten. Ließ man mich wissen. Sehr vertraulich natürlich. Und ebenfalls sehr vertraulich wurde mir ein Weg gezeigt, die Psychiatrisierung zu vermeiden und zugleich zu einer moderateren Strafzumessung zu kommen: Totschlag.
Totschlag ist, wenn ein Arbeitsloser einen Arbeitsamtsdirektor aufsucht, um diesen inständig zu bitten, ihm die Stütze nicht zu sperren und wenn der Arbeitsamtsdirektor den Arbeitslosen dann provoziert, ihn umzubringen. Mord hingegen ist, wenn ein Arbeitsloser das Wohnhaus des Direktors auskundschaftet, weil er den Plan gefaßt hat, diesen umzubringen und wenn er eines Tages dann eine Waffe einsteckt, dem Direktor vor dessen Haus auflauert und seinen Plan in die Tat umsetzt. All das letztere hatte ich getan und alle wußten das – Polizei, Staatsanwalt und Gericht.
Dass ich mich kurz nach der Tat der Polizei gestellt hatte, war kein Argument gegen einen Mord, da Flucht ohnehin aussichtslos gewesen wäre.
Würde ich mitspielen, hätte ich mit maximal 12 Jahren Haft wegen Totschlags zu rechnen, wahrscheinlich sogar mit deutlich weniger. Würde ich die Wahrheit sagen und auf einen politischen Prozess bestehen: Psychiatrisierung. Eine einfache Wahl – und tatsächlich wischten Staatsanwaltschaft und Gericht später alle harten Fakten, die ›mein‹ Lügenmärchen unglaubwürdig machen mußten, mit leichter Hand vom Richtertisch.
Die Justiz ist eines neben anderen Instrumenten der Herrschaftssicherung. Daher wäre es naiv, mein strafgerichtliches Verfahren als skandalös oder gar kriminell bezeichnen zu wollen. Es ist allerdings abgrundtief niederträchtig und menschenverachtend, jemandem mittels Androhung von Vernichtungsfolter seinen politischen Widerstand abzupressen und ihn zu zwingen, seine Identität öffentlich zu verleugnen.

Stolz und ohne Reue Mensch

Et si omnes – ego non ( Wenn auch alle – ich nicht) lautet ein stolzer aristokratischer Freiheitswahlspruch. Der Verfasser dieser Intervention ist solch edlem Kitsch abhold. Er ist ein im Jahr 1955 im Ruhrgebiet geborener Proletarier, der lieber ein Lebenslänglich kassiert als sich von Arbeits- und Sozialbehörden versklaven zu lassen. Biographien beginnen mit Zufällen, die später Entscheidungen verlangen. Ein markanter Zufall ist, einer Generation anzugehören, deren Eltern zu Ende der Nazi-Diktatur um 20 Jahre alt gewesen sind. Zweiter markanter Zufall ist, im sozial vielfältigen und kontaktfreudigen proletarischen Milieu der Stadt Gelsenkirchen aufgewachsen zu sein. Diese Stadt war ein riesengroßes Dorf mit lebendigen Nachbarschaften, die Angehörigen großer Familienverbände achteten sehr darauf, nahe beieinander zu wohnen, um sich umstandslos zu Fuß erreichen zu können. Kindern öffneten sich heute nicht mehr vorstellbar weite soziale und menschliche Erfahrungshorizonte. Die Jahrgänge waren geburtenstark und wegen der kleinen, engen und überbelegten Wohnungen fand Kinderleben auf Straßen und Plätzen statt. Bei schlechtem Wetter allerdings wurde spontan die eine oder andere Wohnung Kinderspielplatz. Diesem Milieu, das berstend voll von Leben war, waren Verabredungsrituale kluckenhafter Mütter fremd.
Luftschutzbunker, noch nicht vollständig geräumte Trümmergrundstücke sowie viele Kriegsversehrte an Krücken und in den damals 3-rädrigen Rollstühlen waren Zeugen einer noch nicht lange zurückliegenden anderen und gewalttätigen Zeit. Auch war da ein heute vergessenes, politisch unbedarftes Proletariat, das erstaunlich offen von der ›Nazizeit‹ berichtete. Über das vor 1945 Geschehene und Erlebte wurde in eher beiläufigem Ton gesprochen, gern und viel, selten einmal raunend, und allemal, als sei niemand innerlich beteiligt oder äußerlich verwickelt gewesen. Das Vergangene wurde als Peinlichkeit der Art vorgestellt, die nun einmal unterlaufen kann. Die Botschaft von der Ohnmächtigkeit des kleinen Mannes lautete klar: »Widerstand, selbst der geringste, ist für unsereinen keine greifbare Option.«
Ich erhielt Staatsbürgerunterricht in Unterwerfung, subtil zwar, zwischen den Zeilen, doch nicht subtil genug, um die schlüpfrige Verschlagenheit und entschlossene Militanz hinter der Unschuld solchen Untertanentums übersehen zu können. Das roch nicht nur, das stank.
Nein, Untertan wollte ich nicht werden! Diese sehr frühe Entscheidung hielt selbst den Stürmen der Pubertät stand. Da half insbesondere die herrenmenschlich brutale Außenpolitik der USA gegenüber Vietnam und später Chile. Alle guten und treuen Untertanen um mich herum lobten jene USA als Vorbilddemokratie – aha! Ebenfalls auffällig wurde ein Mentalitätswandel des Proletariats in der – wie ich es nennen möchte – ›Ford Capri-Ära‹. Mit zunehmendem Wohlstand und sich ausdifferenzierender Produktionstechnik in der Industrie trat mehr und mehr Vereinzelung an die Stelle sozialen Zusammenhangs.
Alles zentrierte sich um Arbeit und Aufstieg durch Arbeit. Zuvor gesellige Untertanen mutierten zu einsamen Konsumenten.
All das waren immens dichte Lehrstunden für das Verständnis der Prägungen des Bewußtseins durch das Sein bzw. Untertan-Sein. Eine biographische Grundfiguration gewann Kontur: Sich nicht in dieser Untertanengesellschaft und ihren Maximen verfangen, Abstand bewahren!
Als gegen Ende der 70er Jahre der Umweltschutzgedanke via TV und Medien in das deutsche Volk eingesickert war, mutierte der Untertan erneut und – zaghaft noch – stand der alte Herrenmensch neu wieder auf. Nun demokratisch geläutert, nahm er Wasser für Blut, Wald für Boden. Mit Hinweis auf Thorwald Proll, Thomas Ebermann/Langer und Jutta Ditfurth stand ›sauberes Wasser und gesunder Wald‹ für arisches Blut und völkischen Boden. Bereits für die Zeit der Weimarer Republik beschrieb Willi Bredel einen analogen grün-braunen Gestank im 3. Teil von »Väter – Söhne – Enkel«.
Mit Untertanen zu verkehren, ist verkehrt. Die Zeit, Widerstand zu leisten, würde kommen. Mit Bildung der rot-grünen Regierung im Jahre 1998 war der neue alte Herrenmensch demokratisch hegemonial geworden. Wer das sagte, erntete damals wütenden Protest. Heute wird ein solcher Satz als Ladenhüter mit einem Achselzucken quittiert. Willkommen in der Wüste des realen Herrenmenschen. Wer da nicht kämpft, muß unter(tan)gehen oder – was dasselbe ist – Herrenmensch werden.

Untertanen-ABC

Wurzeln wollte ich nicht schlagen in der im Juli 2000 startenden, 12-monatigen Weiterbildung ›Fachkraft für Computer Integrated Manufacturing‹ beim ABC (Arbeiter Bildungs Centrum) in Bremen. Tatsächlich handelte es sich um einen Lehrgang für Technisches Zeichnen am Computer (CAD). Selbst für Menschen mit dürftigen Grundkenntnissen stellte sich alsbald die Frage, was denn wohl in den restlichen 11 Monaten getan werden könnte. Denn CAD ist eine anspruchslose und schnell zu erledigende Angelegenheit.
Mit einem Arbeitgeber hatte ich verabredet, mich vor Antritt eines Jobs kurz mit den neuesten Softwarefeatures vertraut zu machen. Dieses Vorhaben scheiterte, da die Software vom ABC nicht vollständig zur Verfügung gestellt wurde sondern lediglich in ›steps‹ – ein Löffelchen für Papa, ein Löffelchen für Mama usw. Für jedes Software-Häppchen war gut ein Monat veranschlagt. Als der mir in Aussicht gestellte Job anderweitig vergeben war, entschloß ich mich, den Kurs fortzusetzen, obwohl selbst Kursteilnehmer mit keinerlei Vorkenntnissen innerhalb von 4 Tagen mit einem Step fertig waren und also viel Zeit totzuschlagen war – zuviel. Wie zum Hohn war morgens Kommen und nachmittags Gehen zu stempeln, wie das bei Zurichtung auf Lohnarbeit üblich ist.
Das ABC war allerdings weiter; es zermürbte ehemalige Lohnarbeiter zu behördlichen Leibeigenen. Ende November brach ich den Kurs ab.
Am 6.2.2001 tötete ich den Arbeitsamtsdirektor. In den Wochen davor hatte ich ihn ausgekundschaftet, was einigen Personen aufgefallen war, die dem Gericht später als Zeugen vortrugen. Gut zwei Wochen vor der Tat hatte ich dem Arbeitsamtsdirektor ein Fax ins Amt geschickt: »Abgesehen von der Farbe Ihres Anzugs, was unterscheidet Sie von einem Nazischergen?« hieß es da u.a.
Zahlreiche Erwerbslosengruppen und sozialpolitische Aktivisten haben dieses Fax in Kopie erhalten. Ein oder zwei Tage vor Versendung jenes Faxes war ich dem Direktor zufällig im Amt begegnet. Ich sprach ihn auf ein bereits Anfang Januar 2001 an das Amt gerichtete Schreiben an, in dem ich die unhaltbaren Zustände beim Bremer ABC dargelegt und die Erwartung geäußert hatte, für den Abbruch der Weiterbildung nicht mit einer Sperre der Arbeitslosenstütze bestraft zu werden. Der Direktor kurz angebunden: »Jeder, Herr Braeuner, der eine Weiterbildung abbricht, erhält eine Sperre.« Hartnäckig wies ich auf die anderslautende sozialgesetzliche Regelung bei solchen Abbrüchen hin. Mein Insistieren quittierte der Direktor zweimal lapidar mit Wiederholungen seines Satzes. Ein interessantes Gespräch, vielen Dank! Wenige Tage vor der Tat erhielt ich den Bescheid:
12-wöchige Sperre der Arbeitslosenhilfe; Sozialhilfe würde während dieser Zeit aus disziplinarischen Gründen lediglich in Höhe von 75% des Satzes als Darlehen gewährt. Nun war ich zu Zwangsarbeit verpflichtet, da Sozialhilfeempfänger.

Auf Freundschaft und Freiheit

Die Überführung des Freiwilligen Arbeitsdienstes der Weimarer Republik in einen Zwangsdienst war eine der ersten Regierungshandlungen des Nazi-Regimes gewesen. Zwangsarbeit und Herrenmensch gehören zusammen. Wie auch Untertan und Herrenmensch fest zusammengehören. Allemal gilt da Nietzsche – die moderne Form von Herrschaft sei eine von Gesindel über Gesindel. Untertanengesindel wird zu Herrenmenschgesindel, wenn die Gottwerdung des Menschen (Christus) in die Sphäre des Politischen getragen und dort als Leidens- und Auferstehungsgroteske nachgespielt wird. Der Aufsteigerkitsch in den Lebensläufen von Schröder und Fischer bebildert dies. Noch einmal Nietzsche: »Christentum ist Gesindelreligion par excellence.«
Seit den 80er Jahren verpflichtete der § 20 des Sozialhilfegesetzes zur Leistung von Zwangsarbeit. Mit diesem § 20 hat der in den 70er Jahren zurückgekehrte, neue alte Herrenmensch das Manifest seiner Ankunft verfasst. Und 2001 nun stand er breitbeinig auch vor mir und forderte gebieterisch: »Auf die Knie!« Wachte oder träumte ich.
Ich war schon auf die Knie gegangen, hatte beim Bremer ABC durchhalten wollen, mein Hirn hatte den Affen verächtlich auf einen Stuhl hinabgedrückt, um ihn dort monatelang untätig stillsitzen zu lassen. Er hat sich gewehrt. Im August 2000 war da plötzlich ein Stechen zwischen Kreuz- und Hüftbein, das bald in Rücken und Beine ausstrahlte und ein trommelnder Dauerschmerz wurde. Im September schwoll ein Ellenbogen dick an und trommelte mit. Ab Ende Oktober ging ich, der Monate zuvor noch mehr als gesund gewesen war, stark humpelnd. Das Hirn hatte dem Affen die Freundschaft aufgekündigt und der wehrte sich nun und forderte die Freundschaft zurück – mit aller Macht. So lange und so sehr bis das Hirn einwilligte: »Gut, laß uns wieder Freunde sein, laß uns kämpfen und ihn töten, den Herrenmenschen.« Als ich Ende November 2000 den CAD-Kurs abbrach, wußte ich bereits, daß es unausweichlich zum Kampf kommen würde, zu einer Entscheidung. Es hat beinahe 4 Jahre gedauert, bis der Affe dem Hirn jene Aufkündigung der Freundschaft damals beim ABC verziehen hat. Im Frühsommer 2004 hörte das bis dahin unablässige, ohrenbetäubende Schmerzgetrommel auf – so plötzlich und schnell wie es gekommen war. Auf die Freundschaft! Auf die Freiheit! ¡Venceremos!

Erläuterungen zu Personen und Institutionen

Mein Verteidiger im gerichtlichen Verfahren war RA Michael Brennecke, Achim bei Bremen. Während der ersten Tage meiner U-Haft hatte er mich aufgesucht und sich um das anwaltliche Mandat beworben. Er stellte keinerlei Honorarforderungen. Da mein Fall überregionale Medienaufmerksamkeit auf sich zog, war mein Mandat sicherlich eine gute Werbung, daher akzeptierte ich ohne Argwohn. Nachdem ich auf dem durch die Psychiatrisierungsdrohung erzwungenen Aussagegeleise war und die Anklageschrift erhalten hatte, eröffnete RA Brennecke mir, daß sein Onkel Joachim Stüncker Politiker sei, MdB der SPD. Da wußte ich, die Psychiatrisierungsdrohung sei um so mehr ernstzunehmen und war vollends eingeschüchtert. Während der 4-tägigen gerichtlichen Verhandlung wurden keinerlei Fragen an mich gerichtet, RA Brennecke redete, ich schwieg.
Das Arbeiter-Bildungs-Centrum (ABC) in Bremen ist 2002/2003 in Insolvenz gegangen. Der Insolvenzverwalter gab als Grund für die Finanznot des ABC eine »zu hohe Gehaltsstruktur« an. Über Jahre hatte die Bremer Arbeitnehmerkammer, deren 100%-ige Tochter das ABC war, dieses mit hohen Summen gestützt. Der im Zuge der Insolvenz entlassene Geschäftsführer des ABC, Herr Dr. Peter Fließhardt, zog in den Verwaltungsrat der Bremer Arbeitnehmerkammer ein, dessen Vorsitzende die damalige Chefin des DGB in Bremen Helga Ziegert war. Der 20-köpfige Verwaltungsrat der Bremer Arbeitnehmerkammer war ausschließlich mit hauptamtlichen Funktionären der IG-Metall besetzt. Die Bremer Arbeitnehmerkammer ist eine im Bundesland Bremen gesetzlich installierte Zwangskorporation, die sich aus Pflichtbeiträgen aller abhängig Beschäftigten im Bundesland Bremen finanziert.
Vergleichbar ist das mit der Kirchensteuer; aus der Kirche kann man allerdings austreten – aus der Bremer Arbeitnehmerkammer nicht. Der sozialdemokratische Herrenmensch läßt nicht austreten, er läßt antreten.

Werner Braeuner

Werner Braeuner
JVA Sehnde
Schnedebruch 8
31319 Sehnde

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1 Response

  1. 08/06/2011

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