Thomas Meyer-Falk: Entsorgt in der Psychiatrie…

faust-durchs-gitterIn der (auch linken) Öffentlichkeit ist vielfach unbekannt, wie einfach Menschen in Deutschland hinter den Mauern der Psychiatrie verschwinden können. Wie schon vor einigen Jahren an anderer Stelle berichtet reichen kleinste „psychische Auffälligkeiten“ mitunter aus, um von Gerichten in die Psychiatrie gesperrt zu werden.

Heute soll die Rede sein von einem Fall, der sich im Landgerichtsbezirk Chemnitz 2010 zutrug.

Vorgeschichte

Der 1972 geborene Betroffene steht seit 2006 unter Betreuung. Laut Bürgerlichem Gesetzbuch (§1896) kann ein Volljähriger unter Betreuung gestellt werden, sobald er/sie „auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung seine Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen kann“.

Am 01.06.2010 beantragte die Betreuerin des hier Betroffenen beim Amtsgericht (AG) dessen Unterbringung in der Psychiatrie. Das AG ordnete die Einholung eines Sachverständigengutachtens an und beauftragte hiermit die Hausärztin des Betreuten, eine Fachärztin für Allgemeinmedizin und Akupunktur.
Mit Formularbeschluss vom 17.06.2010 verfügte das AG eine Unterbringung in der Psychiatrie bis zum 17.09.2010. Zudem genehmigte es die „zeitweise oder regelmäßige Freiheitsentziehung (…) durch mechanische Vorrichtungen, nämlich Fixierung der Extremitäten, (…) bis zur Entscheidung der Betreuerin.“
Hiergegen erhob der Betroffene Beschwerde zum Landgericht Chemnitz, welches am 21.07.2010 diese zurückwies.
Nunmehr wandte er sich in seiner Verzweiflung an den Bundesgerichtshof (BGH); und dieser hob am 15.09.2010 den Beschluss des Landgerichts Chemnitz auf und ordnete eine neue, gründliche Prüfung an (vgl. Neue Juristische Wochenschrift 2011, S. 520-522, Az. XII ZB 383/10).

Zu den Entscheidungsgründen des BGH

Zwar hielt es der BGH für unbeachtlich, dass die Hausärztin des Beschwerdeführers das zur Unterbringung führende Gutachten erstattet hatte, denn nur in Fällen mit einer Unterbringungsdauer von mehr als vier Jahren soll kein behandelnder Arzt das Gutachten erstatten, und somit sei das Gutachten der Hausärztin verwertbar, denn die Unterbringungsdauer betrug „nur“ drei Monate, jedoch beanstandete das Gericht, dass die Gutachterin keine Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie habe, obwohl eine solche vom Gesetz gefordert werde.
Freilich hatte am 03.06.2010 der Amtsrichter einen „Telefonvermerk“ gefertigt, aus welchem sich ergab, dass auf Nachfrage des Richters bei der Ärztin, diese ihm versichert habe, sie verfüge über „genügend Erfahrung“, um die Erforderlichkeit einer Unterbringung beurteilen zu können. Dies ließ der BGH nicht gelten. Erforderlich sei die objektive Qualifikation und nicht die bloße Selbsteinschätzung des Gutachters. Ist ein Gutachter nicht hinreichend qualifiziert, so der BGH weiter, ist dessen Gutachten unverwertbar, mithin war die Beschwerdeentscheidung des Landgerichts Chemnitz rechtsfehlerhaft und musste aufgehoben werden.
Des Weiteren beanstandete der BGH, dass dem Betroffenen, nachdem er in der Psychiatrie gelandet war, nicht mitgeteilt wurde, dass nunmehr eine Stationsärztin gutachterlich vom Landgericht angehört würde.

Völlig unverständlich für den BGH war darüber hinaus, dass das Amtsgericht die Fesselung ans Bett genehmigt hatte, denn weder wurde dies von der Betreuerin jemals beantragt, noch hätte das Gericht die Beendigung der Fixierung in das Ermessen der Betreuerin stellen dürfen.

Bewertung des Geschehens

Hätte sich der Betreute nicht bis zum BGH durchgekämpft, er läge vielleicht heute fixiert im Bett einer geschlossenen Psychiatrie. Verräterisch ist doch schon die Wortwahl: „Formularbeschluss“, so nennen die Juristen in der Tat ein mit dem Wort „Beschluss“ überschriebenes Formular. Dort brauchen die Richter nur noch Kästchen anzukreuzen, mit jeweils vorformulierten Textbausteinen – und das ist dann die Grundlage für eine angeblich „rechtmäßige Freiheitsentziehung“, denn nichts anderes bedeutet die zwangsweise Einweisung in die Psychiatrie.

Wie sollen Patienten Vertrauen zu einem Arzt haben, der gegebenenfalls vor Gericht für die Einweisung des eigenen Patienten plädiert? Hier wird das Vertrauensverhältnis ad absurdum geführt. Interessant ist hier die Argumentation des BGH. Er macht deutlich, dass wenn ein Patient seinen Arzt nicht von dessen Verschwiegenheitspflicht entbindet, der Arzt sich zwar ggf. strafbar mache, wenn er sich eines Bruchs des Berufsgeheimnisses schuldig mache, daraus folge jedoch nicht, dass dessen Gutachten nicht verwertet werden dürfe.

Betreuungsverfahren, wie auch Unterbringungsangelegenheiten sind Massenverfahren; zigtausende Menschen werden pro Jahr gewissermaßen (wie es früher hieß) entmündigt und/oder in geschlossene Heime oder Psychiatrien gesperrt. Die unteren Gerichtsinstanzen missachten dabei selbst grundlegendste Formalien. Wer dann nicht die Kraft, den Mut und auch Unterstützung hat, sich bis zum Bundesgerichtshof, mitunter aber auch bis zum Bundesverfassungsgericht durchzukämpfen, der liegt mit Psychopharmaka ruhiggestellt oder von Gurten fixiert in der Psychiatrie.

Thomas Meyer-Falk
c/o JVA – Z. 3113
Schönbornstr. 32
D-76646 Bruchsal

www.freedom-for-thomas.de
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